Samuel Lai, der Käsehandwerker, der die Tradition interpretiert und im Hier und Jetzt lebt | Olianas
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Samuel Lai, der Käsehandwerker, der die Tradition interpretiert und im Hier und Jetzt lebt
von Jessica Cani
Im Herzen Südsardiniens entfaltet sich eine Geschichte der Wiedergeburt und der Leidenschaft, die den Geschmack der sardischen landwirtschaftlichen und bäuerlichen Kultur widerspiegelt, und all das, was wir schützen sollten, um die Identität der Insel zu bewahren.
Dieses Mal blieben wir für unsere Vite-Reise (Anm. des Üb.: Lebensgeschichten aus Sardinien) in unserem Gebiet namens Gergei und besuchten einen Freund und großen Profi, der dazu beigetragen hat, Sarcidano zu einem Reiseziel zu machen.
Wir besuchten Samuel Lai, der zusammen mit seiner Frau Manuela und seiner Familie das Milchwirtschaftsprojekt Sinnos und die Unterkunftseinrichtung Domu Antiga betreibt.
Auch dieses Gespräch eröffnen wir mit einem virtuellen Glas Wein, und Samuel lädt uns zu einem Orange-Wein ein. „Ich habe diese Weine in letzter Zeit nach und nach entdeckt und mag sie sehr.“
Samuel Lai, geboren 1982, hat sich auf eine Reise begeben, die nicht nur beruflich, sondern auch sehr persönlich ist. Ein Wendepunkt, der sein Leben veränderte und seinen Gedanken und seinem Wunsch, die Freiheit zu leben, einen Sinn gab: Er wurde vom Soldaten, der in Afghanistan und im Irak im Einsatz war, zum Käsemeister und Hüter der sardischen Gastronomie- und Weintraditionen.
Nach zwei Jahrzehnten Militärdienst, der von langen Abwesenheiten unterbrochen war, beschließt Samuel, seinen Weg zu ändern. Häufig ist der Auslöser für diese Metamorphose ein Ereignis, das ihn prägt, nämlich der Verlust eines Kameraden bei einem Attentat. Dieser Moment der tiefen Besinnung markiert den Beginn einer neuen Ära für Samuel und seine Frau Manuela.
Im Jahr 2013 wurde aus der Asche eines historischen Wohnsitzes Domu Antiga geboren, eine Unterkunft, die ein völliges Eintauchen in das Wesen des Gebietes, in dem wir uns befinden ist – Sarcidano. Zusammen mit seiner Mutter Maria Grazia und seinem Vater Arnaldo nimmt die Gastronomie der Insel mit ihren tief in der ländlichen Kultur verwurzelten Gerichten Gestalt an. Hier esse ich wie zu Hause bei meiner Mutter: gefüllte Zucchini, gebratene Zucchiniblüten, Malloreddus (Anm. des Üb.: eine sardische Pasta-Art), Ricotta und Honig. Alles entfaltet sich durch ein Alltagskonzept, das eine einfache Lebensweise hervorhebt, die nur diejenigen als ihre eigene erkennen, die das Glück hatten, das Landleben seit ihrer Kindheit zu erleben. Wie zu Hause.
Das Wesen von Domu Antiga liegt in der Fähigkeit, ein echtes gastronomisches Erlebnis zu bieten, fernab von den üblichen Touristenpfaden. Seit einiger Zeit bietet Samuel mit Hilfe seines Bruders Riccardo im Bereich Käse und seiner Schwester Giulia im Bereich Pasta und Kuchen Kurse an, die die Gäste aktiv einbeziehen. Das Ziel ist die Weitergabe von Fähigkeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Bedeutung der Rituale nicht verlieren, die seit Jahrhunderten das Rückgrat unserer Wirtschaft sind und die es uns heute ermöglichen, mit einem Gebiet voller Geschichte und hervorragender Leistungen verbunden zu bleiben.
Im Jahr 2022 eröffnete Samuel Sinnos, eine Mikrokäserei, die seine Philosophie widerspiegelt, nämlich die Liebe zur Tradition und die Offenheit für Innovationen, Veränderungen und das ständige Streben nach Qualität. In einem restaurierten Gebäude, umgeben von Zitrusfrüchten und aromatischen Kräutern, experimentiert Samuel mit neuen Dimensionen des Geschmacks, stets verankert in den Wurzeln der sardischen Hirtenkultur.
Der Name „Sinnos“, der soviel wie Zeichen bedeutet und an die charakteristischen Zeichen erinnert, mit denen die Hirten ihre Schafe kennzeichneten, ist Sinnbild für die tiefe Verbundenheit mit der Hirtenkultur der Insel. „Früher gab es noch keine Mikrochips“, erzählt Samuel, “und die Schafe wurden mit unterschiedlichen Ohrmarken für jede Herde gekennzeichnet. Mit Zeichen eben. Ich wollte diese Tradition an der Wand der Käserei darstellen.“
Als er einem älteren Schäfer in Mogoro eine Herde von 60 Schafen abkaufte, weinte der Schäfer. Dieser Moment markierte nicht nur eine Übergabe, sondern der Beginn einer Wiedergeburt.
Heute ist Samuel viel mehr als nur ein Käsehersteller. Er ist ein Wegbereiter, ein Bewahrer der Traditionen, eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft der sardischen Kunst der Käseherstellung. In seiner Mikrokäserei stellt er einige der interessantesten und begehrtesten Schafskäsesorten der Insel her. Die Produktion reicht von frischen bis zu gereiften Käsesorten, jede mit einer einzigartigen Persönlichkeit, die die Geschichte der sardischen Weiden erzählt. „Gibt es etwas Besseres als ein Schaf, das frei und in seinem eigenen Gebiet weiden kann?“, fragt er. „Es ist ideal für Fleisch, Milch und Wolle. Wir haben auch ein neues Projekt mit Wolle begonnen, das wir „Intrina“ nennen, also Flechtwerk. Für mich ist es eine Arbeit, die das Ziel hat, die ganze Bedeutung Sardiniens und seiner Kernwirtschaft aufzuwerten und zu interpretieren“.
Das Käsesortiment reicht von frischem Ricotta bis zu gereiftem Pecorino, wobei jede Käsesorte eine andere Geschichte Sardiniens erzählt.
Das Aushängeschild der Produktion ist der Muvroni, ein Käse, der den innovativen Ansatz verkörpert und in Leinentücher gewickelt und gereift wird. Die experimentelle Verwendung von pflanzlichem Quark, der aus den Stempeln der Mariendistel, einer autochthonen Pflanze, gewonnen wird, unterstreicht Samuels Engagement für nachhaltige, an das Gebiet gebundene Produktionsmethoden.
Das Engagement zeigt sich aber auch in der Hingabe gegenüber der Markenidentität, bei der jeder Käse einen Namen trägt, der an einen Aspekt der Hirtenkultur erinnert.
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Malune, das Korkgefäß, in dem der Käsebruch transportiert wurde
Agadiu, die Schafe, die noch keine Lämmer geboren haben
Madrigadu, die Mutter. Schafe, die Lämmer geboren haben
Sacaja, die Schafe, die ein Jahr alt sind und Lämmer geboren haben
Manixu, ein Brauch, die Herde zu bewegen, um eine gute Milchqualität zu gewährleisten
Arrastu, Spur. Die der Schafe, wenn sie vorbeigehen
Muvroni, das sardische Schaf
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Was Samuel Lai so faszinierend macht, ist seine ganzheitliche Herangehensweise an die Arbeit. Für ihn ist die Käseproduktion nicht einfach nur eine Herstellung, sondern eine Lebensweise, eine Interpretation von Zeit und Raum, von denen er umgeben ist. Sein gesamtes Projekt entspricht seinem persönlichen Konzept von Freiheit. „Seit ich in diesem Beruf tätig bin“, sagt er, „weiß ich nicht mehr, wie spät es ist oder welchen Tag wir haben. Und es ist mir egal, ich lebe in der Gegenwart, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was sein wird, weil ich mit dem, was ich habe, zufrieden bin. Meine Zeit wird vor allem durch die Tages- und Jahreszeiten, den Stand der Sonne, die Hitze und die Kälte bestimmt. Ich brauche sie für die Arbeit, aber um mich wohlzufühlen, muss ich einfach in der Gegenwart sein.“
Samuel stellt nicht nur Käse her. Er ist ein echter Botschafter der Käsekunst. Er organisiert Kurse, arbeitet mit anderen Käsereimeistern zusammen und nimmt aktiv an Fortbildungsprogrammen teil, wobei er stets auf der Suche nach neuen Techniken ist, die er in sein Produktionsverfahren integrieren kann. Diese kontinuierliche Entwicklung spiegelt sich in jedem Sinnos-Käse wider, jeder mit seiner eigenen einzigartigen und erkennbaren Persönlichkeit.
Wenn man in den Reifungskeller hinabsteigt, sieht man neben Samuels Käsesorten einige, die er in den vergangenen Jahren mit Gästen, die er in sein Käselabor eingeladen hat, hergestellt hat. „Für mich ist es wichtig, um zum Austausch zu kommen, sonst schaue ich nicht über meinen eigenen Tellerrand hinaus. Die Möglichkeit, meine Milch mit verschiedenen Techniken zu verarbeiten, gibt mir die Gelegenheit, zu experimentieren und immer wieder Neues zu entdecken“.
Wenn man bedenkt, dass die gastronomische Tradition immer in Bewegung ist und es keine starren Regeln gibt, die eine gastronomische Spezialität definieren, dann interpretiert Samuel den Sinn des Wandels perfekt.
Wir beenden unser Gespräch mit Samuel wie immer mit Vite, d. h. mit der Frage, wohin er uns zum Essen mitnehmen würde. „Ich mag keine Restaurants, aber ich gehe sehr gerne dorthin, wo die Hersteller oder Fischer sind. In Olbia gibt es eine Austernzucht namens Tilusa. Gastfreundlich, familiengeführt, sehr einfach, aber wirklich schön.“