Giulia Caffiero, von Sardinien an die Spitze der Weltgastronomie | Olianas

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Giulia Caffiero, von Sardinien an die Spitze der Weltgastronomie
von Jessica Cani
In Kopenhagen, im Drei-Sterne-Restaurant Geranium – 2022 von „The World’s 50 Best Restaurants“ zum besten Restaurant der Welt gekürt – arbeitet eine junge Sarden, die die Grenzen der Spitzengastronomie neu definiert. Giulia Caffiero, Assistant Restaurant Manager des berühmten dänischen Lokals unter der Leitung von Küchenchef Rasmus Kofoed, verkörpert eine neue Generation von Gastgewerbe-Profis, die frischen Wind in die Branche bringen, ohne ihre Wurzeln zu vergessen.
Ihre Geschichte beginnt wie viele andere: mit einem Nebenjob während des Studiums. „Es war alles ganz einfach“, erzählt sie mit der Bescheidenheit einer Person, deren Markenzeichen Entschlossenheit ist. „Ich bin buchstäblich in diese Welt gestolpert – dank Gianfranco Massa (Mitbegründer der Accademia Casa Puddu in Baradili), dem Onkel eines lieben Freundes.“ Dieser erste Zufall führte Caffiero zu Cucina.eat, wo sie ihre ersten Schritte in der Gastronomie buchstäblich bei null begann. „Ich konnte Weißwein nicht von Rotwein unterscheiden“, gibt sie lächelnd zu – ein Lächeln, das Jahre intensiven Lernens verbirgt. „Und das erste Mal, als ich einen Teller in der Hand hatte, fiel er mir runter.“
Diese ersten drei Jahre waren entscheidend für ihre Ausbildung. Es war eine intensive Lernzeit, in der sie nicht nur die Grundlagen des Services verinnerlichte, sondern vor allem jene Sensibilität für Gastfreundschaft entwickelte, die ihren weiteren Werdegang prägen sollte. Der Umzug nach Mailand, wo sie an der Seite von Marco Ambrosino im Restaurant 28 Posti und im Il Luogo di Aimo e Nadia arbeitete, war kein Zufall – sondern Teil eines bewussten Entwicklungsweges. In der lombardischen Metropole verfeinerte sie ihre Fähigkeiten in einem internationalen Kontext und bediente eine anspruchsvolle und vielfältige Kundschaft.
Doch 2019, mit 27 Jahren, traf Caffiero eine Entscheidung, die ihr Berufsleben verändern sollte: Sie wollte ins Ausland gehen, um ihr Englisch zu verbessern. Eine Wahl, die viel über ihren Charakter verrät: Statt sich mit dem Naheliegenden zufrieden zu geben, entschied sie sich für eine echte Herausforderung. Kopenhagen war kein Zufall. „Ich suchte eine sichere Stadt, überschaubar und nicht zu weit von zu Hause entfernt“, erklärt sie. Eine überlegte Entscheidung – typisch für jemanden, der weiß, dass persönliches Wachstum Mut und Kalkül verlangt.
Ihr Einstieg ins Geranium zeigt diese Mischung aus Ehrgeiz und Pragmatismus. „Ich habe dort geklopft und gesagt, dass ich kein Englisch spreche, aber gerne bei ihnen arbeiten würde. Sie sagten, es gäbe keinen Platz, aber wenn ich wolle, könne ich zwei Tage bleiben – und dann wieder gehen“, erzählt sie. Trotz der zunächst ablehnenden Haltung sagte sie zu. Ein mutiger Schritt, den viele für riskant gehalten hätten – der jedoch ihre Selbsterkenntnis und ihr Potenzial offenbarte. Nach nur einem Service erhielt sie ein unbefristetes Angebot – mit einer Bedingung: Bis Weihnachten musste sie Englisch lernen. Eine Herausforderung, die sie annahm und bestand

The juice pairing revolution at Geranium represents Caffiero’s innovative approach to dining. It is not simply about offering non-alcoholic alternatives to wine, but rather a sophisticated approach that applies the principles of food pairing—the science of combining flavors based on the molecular and aromatic composition of ingredients—to the world of juices and natural beverages.
Her relationship with wine evolved naturally and honestly. “I love this world and have always enjoyed it, but over time I met incredibly knowledgeable and prominent figures in this field, like my colleague Andrea Sala, head sommelier at Geranium, which made me realize I wanted to dedicate myself fully to something where I could make a more meaningful contribution,” she admits frankly. A rare awareness that, rather than limiting her, pushed her to find her own path. “I’m not someone who insists on something I don’t feel 100% belongs to me,” she explains. “Wine remains a passion—I drink it, I can talk about it—but I understood that my path lay elsewhere.”
The creative process behind Geranium’s juice pairing is a fascinating journey between technique and emotion. It all begins in the Inspiration Kitchen, the experimental lab where she works when Rasmus Kofoed is not preparing the dishes. “When the chef presents me with the dishes, I taste them, and a sort of natural mechanism starts in my brain. Many of the juices I create are linked to memory.” An almost synesthetic approach, where flavors evoke memories and associations: “For example, a scallop can remind me of something Nordic, which in my mind immediately translates into berries.”
But behind this apparent spontaneity lies a methodical and rigorous process. “Sometimes I infuse herbs for a whole month,” she reveals, highlighting how patience is a fundamental component of the process. Seasonality plays a crucial role in these creations. Each juice pairing contains three main elements that reflect the time of year, but with a distinct Nordic peculiarity: “From December to February, nothing grows here except potatoes,” she explains. For this reason, the team has developed sophisticated preservation techniques.
The impact of this innovation is clear in the numbers: today, 30-40% of Geranium’s guests choose the juice pairing—a remarkable result that demonstrates how her intuition met a real market need. “There’s no specific age group,” she observes. “Some choose juice pairing at lunch, some abstain from alcohol, there are cultural or religious reasons, pregnant women… The reasons are endless.”

Der Erfolg des Juice Pairings im Geranium brachte Caffiero dazu, ihre Erfahrung und ihr Wissen einem breiteren Publikum zugänglich machen zu wollen. „Das Buch, das genau Juice Pairing heißt, ist fast spontan entstanden, als Antwort auf ein wachsendes Bedürfnis nach Vermittlung“, erzählt sie. Ein Projekt, das durch die Intuition eines Freundes möglich wurde, der als Bindeglied zu einem Verlag fungierte und das innovative Potenzial ihres Ansatzes erkannte.
„Ich wollte kein Buch schreiben, um jemandem etwas beizubringen“, präzisiert sie mit der Bescheidenheit, die sie auszeichnet. „Das Ziel war vielmehr, ein bisschen Bewusstsein zu schenken und zu zeigen, dass es gar nicht so schwierig ist, etwas Gutes zu schaffen.“ Ein Ansatz, der ihre berufliche Philosophie perfekt widerspiegelt: Exzellenz zu demokratisieren, ohne deren Qualität zu beeinträchtigen.
Das Buch ist mehr als eine Sammlung von Rezepten – es ist eine Reise durch ihre kreative Methode. Es bietet Anregungen und Tipps für alle, die sich der Welt des Juice Pairings nähern möchten, und teilt nicht nur die Techniken, sondern auch den mentalen Prozess, der hinter der Kreation eines gelungenen Pairings steht. Es ist eine Möglichkeit, die Innovation der nordischen Küche in einen breiteren Kontext zu bringen und sie auch für das italienische Publikum zugänglich zu machen.
Dieses Buchprojekt bildet zudem eine ideale Brücke zwischen ihrer Erfahrung im Geranium und dem Wunsch, zur Weiterentwicklung der zeitgenössischen Gastronomie beizutragen. „Ich wollte nicht nur die Rezepte schwarz auf weiß festhalten, sondern vor allem eine Vision“, erklärt sie. Eine Vision, die von Nachhaltigkeit, Respekt vor den Produkten, angewandter Kreativität und einer neuen Denkweise bei Kombinationen im Fine Dining erzählt.

Nachhaltigkeit im Geranium ist eine Philosophie, die jeden Aspekt der täglichen Arbeit durchdringt. „Wenn wir über Nachhaltigkeit in der gehobenen Gastronomie sprechen, dürfen wir uns nicht nur auf das Endprodukt konzentrieren, sondern müssen das gesamte Ökosystem betrachten, das es hervorbringt“, erklärt Caffiero. Dieser Ansatz spiegelt sich perfekt in ihrer Arbeit mit dem Juice Pairing wider.
Die Wahl lokaler und saisonaler Zutaten ist nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern auch eine klare ethische Haltung. „In einem Klima wie dem dänischen, in dem die Saisonabhängigkeit sehr ausgeprägt ist, mussten wir innovative Techniken entwickeln, um die Produkte zu konservieren und zu verarbeiten.“ Dies führte zur Entwicklung eines komplexen Konservierungssystems, das es ermöglicht, Obst, Gemüse und Kräuter das ganze Jahr über zu nutzen, Abfall zu minimieren und den Wert jeder Zutat zu maximieren.
Die Verarbeitung von „Abfällen“ ist ein weiterer zentraler Aspekt dieser Philosophie. „In der Inspiration Kitchen geht nichts verloren“, betont sie. Gemüseschalen werden zu Brühen, Fruchtabfälle zu Marmeladen und Süßigkeiten für das Personal – jedes Element findet ein neues Leben. Ein Kreislaufansatz, der nicht nur die Umweltbelastung reduziert, sondern auch die Kreativität des Teams fördert.
Nachhaltigkeit geht jedoch über die Rohstoffverwaltung hinaus. „Wir arbeiten stark an sozialer Nachhaltigkeit“, erklärt sie. „Auf das Teammanagement, die Arbeitszeiten und das Wohlbefinden des Personals zu achten, schafft ein wirklich nachhaltiges Umfeld.“ Dieser Ansatz zeigt sich auch in der Entscheidung des Restaurants, auf eine vier-Tage-Arbeitswoche umzustellen, was demonstriert, dass Exzellenz und Respekt gegenüber den Menschen Hand in Hand gehen können und sollten.
Die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten ist ein weiterer Pfeiler dieser Vision. „Wenn wir Blumen und Pflanzen für das Restaurant suchen, bevorzugen wir stets Bio-Betriebe aus der Region“, erzählt sie. „Das gewährleistet nicht nur die Frische der Produkte, sondern schafft auch eine direkte Verbindung zum Gebiet und unterstützt die lokale Wirtschaft.“ Ein positiver Kreislauf, der zeigt, wie Nachhaltigkeit den Wert für die gesamte Gemeinschaft multiplizieren kann.
Das Juice Pairing wird so nicht nur zu einer Alternative zu traditionellen Weinbegleitungen, sondern zu einem Manifest der Nachhaltigkeit. „Wir nutzen Techniken wie Fermentation, Trocknung und Infusion, um die Aromen der Saison zu bewahren“, erklärt sie. „So können wir auch in den Wintermonaten, wenn frische Produkte begrenzt verfügbar sind, komplexe und interessante Getränke kreieren.“ Ein konkretes Beispiel dafür, wie Innovation und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.
Die Entscheidung, diese Praktiken in ihrem Buch zu dokumentieren, entspringt auch dem Wunsch, diese Kultur der Nachhaltigkeit zu verbreiten. „Es geht nicht nur darum, Rezepte zu teilen, sondern ein bewussteres Denken in der Gastronomie zu fördern“, sagt sie. „Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, Exzellenz zu erreichen und gleichzeitig die Umwelt und die Menschen zu respektieren.“

Als Assistant Restaurant Manager im Geranium leitet Giulia Caffiero ein Team von 18 Personen in einem der weltweit renommiertesten Restaurants – eine Position, die eine ganzheitliche Vision, Führungsqualitäten und akribische Liebe zum Detail erfordert. „Ich kümmere mich um alles“, erklärt sie, „von scheinbar einfachen Dingen wie dem Bestellen von Kerzen oder Servietten – wir haben zehn verschiedene Arten mit genauem wöchentlichen Bestand – bis hin zur vollständigen Teamführung und Organisation des Service.“
Ihr typischer Arbeitstag ist ein ständiger Wechsel von Entscheidungen und Koordination. Außerdem ist sie für die florale Gestaltung des Restaurants verantwortlich, indem sie persönlich die Suche und Auswahl der Blumen übernimmt, die streng biologisch sein müssen. „Wenn die Lieferungen nicht ankommen, muss ich das Restaurant verlassen und zu den Farmen fahren“, erzählt sie und betont, dass ihre Rolle totale Flexibilität und Engagement erfordert.
Die Leitung eines internationalen Teams ist vielleicht die größte Herausforderung. In einem Umfeld, in dem unterschiedliche Kulturen und Arbeitsweisen aufeinandertreffen, ist die Fähigkeit, Harmonie und Motivation zu schaffen, entscheidend. „Man kann nicht einfach sagen: ‚Ich bin so, wie ich bin‘, wenn man in einem internationalen Umfeld arbeitet“, erklärt Caffiero. „Man muss offen sein, die Kulturen der ganzen Welt zu verstehen und sich in eine Art Gemeinschaft einzufügen, in der jeder seine Persönlichkeit hat und wir alle uns bemühen, zusammen zu teilen und zu leben

Trotz ihrer internationalen Karriere hält Caffiero eine starke Verbindung zu ihrer Heimat Sardinien. Diese Bindung hatte sie schon immer, und im Laufe der Zeit ist sie fest geblieben. Zu ihren Lieblingsorten auf der Insel empfiehlt sie Fradis Minoris in Nora oder eine einfache Pizza bei Davide Bonu von Impasto.
Ihr Werdegang ist ein Beispiel dafür, wie Talent, Entschlossenheit und Offenheit für Veränderungen zu Exzellenz in der zeitgenössischen Gastronomie führen können.
Ihre Fähigkeit, das Konzept der Getränke-Speise-Kombination neu zu erfinden und das Juice Pairing auf Weltklasse-Niveau zu bringen, zeigt, wie Innovation in der Gastronomie aus der perfekten Verbindung von Technik, Kreativität und Sensibilität entstehen kann. Ihr Erfolg im Geranium ist nicht nur eine Geschichte persönlicher Leistung, sondern auch ein Beispiel dafür, wie die neue Generation italienischer Fachkräfte dazu beiträgt, die Standards kulinarischer Exzellenz weltweit neu zu definieren.
Von ihren ersten Erfahrungen in der Weinwelt bis hin zur Leitung eines der renommiertesten Restaurants der Welt verkörpert Caffieros Werdegang das neue Gesicht der internationalen Gastronomie: jung, innovativ, nachhaltig und traditionsbewusst, dabei aber mutig genug, die Traditionen neu zu interpretieren.
